Das Jahr 2024 war geprägt von bedeutenden Entwicklungen im Bereich der gesetzlichen Anforderungen für barrierefreie Webseiten und digitale Dienstleistungen. Im Fokus standen dabei die Anpassung und Weiterentwicklung bestehender Richtlinien, um die digitale Barrierefreiheit für alle Nutzergruppen weiter zu verbessern. Unternehmen, öffentliche Institutionen und Dienstleister mussten sich auf zahlreiche Neuerungen einstellen.
2024 brachte jedoch nicht nur in Deutschland, sondern auch auf europäischer Ebene bedeutende Fortschritte in der Gesetzeslage und bei der Förderung digitaler Barrierefreiheit.
Deutlich wurde in diesem Jahr, dass Barrierefreiheit im digitalen Raum kein „Nice-to-have“ mehr ist, sondern zur gesetzlichen Pflicht wird. Die vielfältigen Änderungen und neuen Anforderungen stellen Unternehmen vor Herausforderungen, bieten aber gleichzeitig die Chance, ihre Angebote zukunftssicher und inklusiv zu gestalten.
Werfen wir einen Blick auf die wichtigsten Meilensteine des Jahres.
Januar: Erweiterung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG)
Das Jahr begann mit einer bedeutsamen Änderung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG). Seit dem 1. Januar 2024 gilt dieses Gesetz nicht mehr nur für Unternehmen mit über 3.000 Mitarbeitenden, sondern wurde auf Firmen mit mindestens 1.000 Mitarbeitenden ausgeweitet.
Diese Änderung hat direkte Auswirkungen auf die digitale Barrierefreiheit, da Unternehmen entlang ihrer Lieferketten nun auch auf die Einhaltung von Standards wie den Richtlinien der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) achten müssen. Barrierefreie Internetseiten werden so zu einem festen Bestandteil der unternehmerischen Verantwortung.
Februar: Leitlinien zur Umsetzung des BFSG
Im Februar veröffentlichte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) eine umfassende Leitlinie zur Auslegung und Umsetzung des deutschen Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG). Dieses Gesetz steht im Einklang mit der EU-Richtlinie über Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (EAA).
Die Leitlinie betonte die Bedeutung technischer Standards wie EN 301 549 und WCAG 2.2, die sowohl für Webseiten als auch für Apps und Selbstbedienungsterminals gelten. Unternehmen erhielten damit klare Anweisungen, wie sie die Anforderungen umsetzen können, und konnten ihre Compliance optimieren.
März: Start des European Accessibility Resource Center ("AccessibleEU")
Das European Accessibility Resource Center, besser bekannt als „AccessibleEU“, wurde im März offiziell in Betrieb genommen. Die Europäische Kommission stellte dieses Zentrum als zentrale Anlaufstelle für Unternehmen, Regierungen und Organisationen bereit. AccessibleEU bietet Schulungen, Best Practices und Beratung zur Umsetzung von Barrierefreiheitsanforderungen. Dieser Schritt fördert den Wissenstransfer zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und erleichtert die Harmonisierung der Barrierefreiheitsmaßnahmen. Deutsche Unternehmen profitieren von den bereitgestellten Ressourcen, um ihre digitalen Plattformen effizienter an die Gesetze 2024 anzupassen.
April: Erweiterte Anwendung der EN 301 549 in Deutschland
Im April 2024 wurde in Deutschland die Anwendung der EN 301 549, des zentralen technischen Standards für barrierefreie Informations- und Kommunikationstechnologie, ausgeweitet.
Die Bundesregierung konkretisierte ihre Richtlinien, um sicherzustellen, dass digitale öffentliche Dienstleistungen und barrierefreie Webseiten verstärkt den Anforderungen der EN 301 549 entsprechen. Diese Neuerung betraf vor allem Anbieter von digitalen Diensten im Gesundheitswesen, in der Bildung und im öffentlichen Verkehr, die ihre Angebote bis Ende 2024 prüfen und anpassen mussten.
Mai: Vorbereitung auf WCAG 3.0
Das World Wide Web Consortium (W3C) veröffentlichte im Mai einen Arbeitsentwurf der neuen WCAG 3.0. Dieser markierte eine grundlegende Neuausrichtung der Barrierefreiheitsstandards. Statt eines einfachen „Bestanden/Nicht bestanden“-Systems wird WCAG 3.0 ein flexibles Bewertungssystem mit den Konformitätsstufen „Bronze“, „Silber“ und „Gold“ einführen.
Diese gestaffelten Bewertungsstufen ermöglichen es Unternehmen, ihre Inhalte an spezifische Nutzergruppen anzupassen und ihre Barrierefreiheitsmaßnahmen differenzierter umzusetzen.
Juni: Veröffentlichung der BITV 2.0
Die deutsche Bundesregierung verabschiedete im Juni eine aktualisierte Version der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0). Diese neue Verordnung legte besonderen Wert auf die Umsetzung der WCAG-Prinzipien Wahrnehmbar, Bedienbar, Verständlich und Robust (POUR) und richtete sich insbesondere an staatliche und bundesweite Websites. Die BITV 2.0 bot zudem konkrete Anleitungen, wie sowohl öffentliche als auch private Organisationen ihre digitalen Plattformen barrierefrei gestalten können. Diese Klarstellungen erleichterten die praktische Umsetzung und erhöhten den Druck auf säumige Akteure.
Juli: Webinare und Workshops zur Barrierefreiheit
Im Sommer konzentrierten sich zahlreiche Organisationen auf die Schulung und Sensibilisierung von Unternehmen. In Zusammenarbeit mit Regierungsstellen und Industrieverbänden wurden Webinare und Workshops veranstaltet, die sich mit den praktischen Herausforderungen der Barrierefreiheit befassten. Themen wie die Erstellung technischer Dokumentationen, die Durchführung von Konformitätsbewertungen und die Anforderungen an die CE-Kennzeichnung wurden ausführlich behandelt. Diese Veranstaltungen förderten den Austausch zwischen Experten und Unternehmen und trugen zur Harmonisierung der Barrierefreiheitsmaßnahmen bei.
August: Vorschläge zur Stärkung der Verbraucherrechte in Europa
Im August 2024 legte die Europäische Kommission Vorschläge vor, die Verbraucherrechte im Bereich digitaler Barrierefreiheit zu stärken. Diese Vorschläge zielen darauf ab, verbindliche Melde- und Beschwerdemechanismen für Nutzer zu etablieren, die auf Barrieren stoßen.Für Unternehmen wurde so ein starker Anreiz geschaffen, ihre digitalen Angebote frühzeitig an die neuen Gesetze 2024 anzupassen, da mit der Einführung dieser Mechanismen ab 2025 Sanktionen drohen könnten.
September: Aufbau von Marktüberwachungsbehörden
Im September begann der Aufbau regionaler Marktüberwachungsbehörden in den deutschen Bundesländern. Diese Behörden werden ab 2025 für die Überprüfung der Einhaltung der BFSG-Vorgaben verantwortlich sein. Ziel dieser Einrichtungen ist es, sicherzustellen, dass Produkte und Dienstleistungen tatsächlich den gesetzlichen Anforderungen an Barrierefreiheit entsprechen. Verbraucherbeschwerden werden dabei eine zentrale Rolle spielen. Für Unternehmen war dies ein klares Signal, ihre digitalen Angebote spätestens jetzt auf den Prüfstand zu stellen.
Oktober: Veröffentlichung von Durchsetzungshinweisen
Das Bundesministerium veröffentlichte im Oktober Durchsetzungshinweise, die klare Zeitpläne für die Umsetzung der BFSG-Anforderungen festlegten. Unternehmen wurden aufgefordert, bis Mitte 2025 interne Audits durchzuführen und ihre digitalen Angebote zu bewerten. Kleine Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von unter 2 Millionen Euro wurden von bestimmten Verpflichtungen ausgenommen. Dies schuf Transparenz über die Reichweite des Gesetzes und bot kleineren Betrieben die Möglichkeit, ihre Ressourcen gezielter einzusetzen.
November: Fortschritte bei barrierefreien KI-Systemen
Im November 2024 präsentierte der Europäische Rat für Barrierefreiheit einen Leitfaden für barrierefreie KI-Systeme. Dieser bietet konkrete Empfehlungen für die Gestaltung von KI-gestützten Plattformen wie Chatbots, Sprachassistenten und automatisierten Kundenservice-Lösungen.
In Deutschland wurde der Leitfaden vor allem in der Finanz- und E-Commerce-Branche aufgegriffen, da diese zunehmend auf KI-Lösungen setzen, die für alle Nutzer zugänglich sein müssen.
Dezember: Neue Förderprogramme für digitale Barrierefreiheit
Im Dezember kündigte die Bundesregierung im Rahmen ihrer Digitalstrategie ein Förderprogramm namens „Smart Accessibility Initiative“ an. Dieses Programm unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) bei der Umsetzung barrierefreier digitaler Lösungen durch Zuschüsse für technische Anpassungen und Beratungsleistungen.
Solche Fördermaßnahmen erleichtern es KMUs, die Einhaltung der Standards wie WCAG 2.2 und EN 301 549 sicherzustellen und so wettbewerbsfähig zu bleiben.
Ausblick 2025:Was erwartet Unternehmen in Bezug auf barrierefreie Webseiten?
Das Jahr 2025 bringt weitere Entwicklungen und Anforderungen im Bereich der digitalen Barrierefreiheit mit sich. Zentrale Themen, auf die sich Unternehmen vorbereiten sollten:
- Inkrafttreten der BFSG-Vorgaben: Ab 2025 werden die Marktüberwachungsbehörden in Deutschland ihre Arbeit aufnehmen, um die Einhaltung der BFSG-Anforderungen zu überprüfen. Unternehmen, die bis dahin keine Konformitätsbewertungen durchgeführt haben, könnten mit Sanktionen und Verbraucherbeschwerden konfrontiert werden.
- Einführung von WCAG 3.0: Das World Wide Web Consortium (W3C) plant die Finalisierung und Implementierung der WCAG 3.0. Diese neuen Richtlinien bieten mehr Flexibilität, stellen aber auch höhere Ansprüche an die Skalierbarkeit und Detailgenauigkeit barrierefreier Webseiten. Die neuen Konformitätsstufen („Bronze“, „Silber“, „Gold“) werden verbindlich, was Unternehmen zusätzliche Anpassungen abverlangen könnte.
- Schwerpunkt auf barrierefreie KI und digitale Plattformen: Mit der wachsenden Integration von KI-Systemen werden barrierefreie Technologien auch in Bereichen wie Chatbots, Sprachassistenten und automatisierten Prozessen stärker in den Fokus rücken. Unternehmen sollten frühzeitig sicherstellen, dass ihre KI-gestützten Lösungen zugänglich und nutzerfreundlich gestaltet sind.
- Verbindlichere Verbraucherrechte: Die von der EU-Kommission im August 2024 vorgeschlagenen Maßnahmen zur Stärkung der Verbraucherrechte könnten 2025 umgesetzt werden. Dazu gehören strengere Melde- und Beschwerdemechanismen für Barrieren auf Webseiten sowie mögliche Bußgelder für nicht konforme Unternehmen.
- Ende der Übergangsfristen: Für bestimmte Branchen oder Dienstleistungen, wie z. B. E-Commerce oder digitale Bankangebote, enden 2025 viele der bisherigen Übergangsfristen. Unternehmen, die bis dahin keine Maßnahmen ergriffen haben, laufen Gefahr, nicht mehr wettbewerbsfähig zu sein.
FAQ: Häufig gestellte Fragen zu den Änderungen der Gesetzeslage für barrierefreie Webseiten 2024
Welche Unternehmen sind von den neuen BFSG-Anforderungen betroffen?
Alle Unternehmen, die digitale Dienstleistungen wie Webseiten, Apps oder Selbstbedienungsterminals anbieten, sind grundsätzlich verpflichtet, die BFSG-Anforderungen umzusetzen. Kleine Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von unter 2 Millionen Euro sind jedoch von bestimmten Verpflichtungen ausgenommen.
Welche Standards müssen Unternehmen bei der Gestaltung barrierefreier Webseiten beachten?
Die wichtigsten Standards, die Unternehmen einhalten müssen, sind die EN 301 549, die WCAG 2.2 und ab der Einführung auch die WCAG 3.0. Diese Richtlinien stellen sicher, dass digitale Inhalte für alle Nutzergruppen zugänglich sind und orientieren sich an den Prinzipien Wahrnehmbar, Bedienbar, Verständlich und Robust (POUR).
Welche Fristen gelten für Unternehmen zur Umsetzung der neuen Anforderungen?
Unternehmen wurden aufgefordert, interne Audits und Konformitätsbewertungen bis Mitte 2025 abzuschließen. Bereits jetzt sollten Maßnahmen ergriffen werden, um rechtzeitig auf die neuen Anforderungen vorbereitet zu sein. Für kleinere digitale Dienstleistungen wird eine Übergangsphase gewährt, die im Rahmen der Konsultationsphase im Dezember 2024 weiter konkretisiert wurde.
Wie können Unternehmen Unterstützung bei der Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen erhalten?
Unternehmen können auf verschiedene Unterstützungsangebote zurückgreifen, wie etwa die Leitlinien des Bundesministeriums, die Teilnahme an Webinaren und Workshops oder die Zusammenarbeit mit Experten für digitale Barrierefreiheit. Es wird empfohlen, bereits frühzeitig externe Beratungen oder Tools für Konformitätsbewertungen einzusetzen, um eine reibungslose Umsetzung zu gewährleisten.